Familie Cahnstein

Anschel Cahnstein

Nur im Dortmunder Adressbuch für das Jahr 1893 findet sich ein Eintrag zu Anschel Cahnstein. Er war erst im hohen Alter hierher gezogen und bereits nach kurzer Zeit verstorben.

 

Anschel Cahnstein war um 1809 vermutlich in Lüdenscheid geboren worden. Sein Vater Michel Cahn war Handelsmann. Von der Mutter ist nur der Vorname Quendel überliefert. Anschel Cahnstein übte den Beruf des Anstreichers, Tapezierers und Glasers aus und gehörte 1851 und 1854 als Meister der stellvertretenden Prüfungskommission für Handwerker in Limburg an der Lenne (heute Hohenlimburg) an.

 

Anschel Cahnstein war verheiratet mit Julie geb. Salomon und hatte mit ihr mindestens drei Kinder: Michel, Lina und Bernhard. Seine Frau war vor ihm verstorben; möglicherweise war das der Grund, warum Anschel Cahnstein sich ein Testament, das er am 22. Dezember 1882 beim Amtsgericht Hohenlimburg hinterlegt hatte, im August 1890 wieder aushändigen ließ.

 

Etwa 1892 verließ Anschel Cahnstein seinen langjährigen Wohnsitz Hohenlimburg und kam nach Dortmund, wo er bei seinem ältesten Sohn Michel im Haus Bornstraße 64 wohnte.

 

Kurz vor seinem Tode verkaufte Anschel Cahnstein sein Haus in Hohenlimburg, was ihm einen Reinerlös in Höhe von 8.612 Mark einbrachte. Testamentarisch verfügte er, dass seine Schwiegertochter Dora Cahnstein geb. Klein 3.600 Mark, sein Sohn Bernhard 3.000 Mark und seine Tochter Lina Koppel geb. Cahnstein 1.500 Mark erben sollte. Die Erbquoten sind von mir mit Rücksicht auf die entsprechende Vermögenslage, in welcher sich die Eingesetzten befinden, verschieden bemessen […]. Zur Nichtberücksichtigung seines erstgeborenen Sohnes Michel hielt er in seinem Testament fest: Schließlich bemerke ich noch, daß ich meinen Sohn Michel lediglich in guter Absicht von der Erbfolge ausgeschlossen habe und zwar deshalb, weil derselbe zu einer dreijährigen Zuchthausstrafe verurtheilt ist.

 

Am 17. Oktober 1894 starb Anschel Cahnstein im Alter von 85 Jahren in der Wohnung seines Sohnes Michel und in Gegenwart des Sohnes Bernhard, der es übernahm, das Standesamt über den Todesfall zu informieren. Der Vorstand des jüdischen Unterstützungs- und Begräbnisvereins Chevra forderte seine Mitglieder zur Teilnahme an den Hausandachten im Sterbehaus auf.

 

Michel (Michael, Max) Cahnstein

Anschel Cahnsteins älterer Sohn Michel, geboren am 2. Oktober 1849, entschied sich für den Beruf des Handelsmanns. Im Januar 1878 wurde seine Firma in das Handelsregister des Königlichen Kreisgerichts zu Iserlohn eingetragen. Bei seinen Geschäften mit Namensplättchen für Schirme und Spazierstöcke schlug Michel Cahnstein aber auch unredliche Wege ein und wurde deshalb 1882 zu einer Gefängnisstrafe wegen Betruges verurteilt. Da er in dem Zusammenhang noch eines Meineids überführt wurde, wurde die Strafe empfindlich erhöht. Das Urteil lautete auf 3 Jahren 6 Monaten Zuchthaus und 5 Jahre Ehrverlust. Der Angeklagte war durch das Urtheil ziemlich niedergeschmettert.

 

Nach der Verbüßung seiner Strafe hielt es Michael Cahnstein nicht mehr lange in Hohenlimburg. Seine Firma wurde im Dezember 1887 aus dem Handelsregister des Amtsgerichts gelöscht. Wenige Tage später bestellte er beim Standesamt Schwerte (Ruhr) das Aufgebot. Seine Braut war Dora Klein. Dies war am 1. September 1864 als Tochter des Handelsmanns Heinemann Klein und Emma geb. Weinberg in Allendorf (Kreis Arnsberg) geboren und lebte zur Zeit ihrer Eheschließung in Schwerte. Das Ehepaar nahm seinen Wohnsitz aber in Dortmund, wo es zunächst eine Wohnung im Haus Heckenstraße 10 bewohnte. Hier wurden auch die Kinder der Eheleute geboren: Hermann im Oktober 1888, Julie im Januar 1891 und Elsa im Oktober 1892. Bei der letzten Geburt wohnte die Familie Cahnstein im Haus Bornstraße 64. 1895/96 zog sie um in den Neubau Nordstraße 40, den sie von dem Bauunternehmer Sander gekauft hatte.

 

Michel Cahnstein verdiente seinen Lebensunterhalt auch in Dortmund als Händler. Im November 1892 bot er per Zeitungsinserat eine 50pferdige Dampf-Maschine mit Meyer’scher Expansion, wenig gebraucht und in tadellosem Zustande zum Kauf an. Wozu die Maschine vorher benutzt worden war, ist nicht überliefert.Ab September 1896 pries er seinen Universal-Schmutz- u. Druckfänger für Wasserleitungen, spec. für Küchenhähne an, die Michel Cahnstein selbst erfunden hatte: Der einfache Apparat besteht aus einer kleinen, patronenähnlichen Messinghülse, an derem einen Ende sich ein feines Sieb befindet, das auf 1 Quadratzentimeter mehr als 100 Oeffnungen hat, die so fein sind, daß auch nicht ein Sandkörnchen hindurchzudringen vermag. Seine Erfindung hatte Cahnstein sich patentieren lassen (D.-R.-G.-M. 64381) und er vertrieb sie über die ortsansässigen Installateure.

 

Im Jahre 1902 versuchte Cahnstein, sich eine größere Summe Geld am liebsten v. Privatmann zu leihen und bot an, zur Sicherheit des Kapitalgebers eine Hypothek auf ein Grundstück in feinster Geschäftslage in Annen an. Wofür das Geld benötigt wurde und ob der Versuch der Geldbeschaffung erfolgreich war, ist unbekannt.

 

Michel Cahnstein, der sich viele Jahre Max nannte, starb am 5. Oktober 1907 im Alter von 58 Jahren im Luisen-Hospital. Sein Grabmal auf dem Ostfriedhof, das mit den segnenden Händen geschmückt ist, ist im oberen Bereich stark beschädigt.

 

In den Adressbüchern der Stadt Dortmund wurde Dora Cahnstein geb. Klein zunächst nur als Witwe geführt. Ab der Ausgabe für das Jahr 1911 findet sich an ihrem Eintrag der Zusatz „Metall-Gewerbe-Industrie“ oder Händlerin, und schließlich ab 1921 wieder nur die Angabe Witwe.

 

Dora Cahnstein wurde am 28. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Die Wohnung im Haus Nordstraße 40 wurde in dem Zusammenhang versiegelt, die Einrichtung später beschlagnahmt und verschleudert. Seit Beginn der Deportation fehlen jegliche Hinweise auf ihr Schicksal. Mit Wirkung vom 7. März 1943 wurde sie für tot erklärt.

 

Hermann Cahnstein

Der 1888 geborene Hermann Cahnstein entschied sich für eine Berufslaufbahn bei der Post. Im Mai 1906 wurde er als Telegraphengehilfe angenommen. Fünf Jahre später bestand er die Telegraphenassistenten-Prüfung. Der Erste Weltkrieg unterbrach die Berufslaufbahn. Hermann Cahnstein wurde Soldat. Als Vizefeldwebel der Reserve wurde er im Sommer 1915 mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Nach Kriegsende kehrte er in den Telegraphendienst zurück. Im Adressbuch 1921 wurde er als Telegraphen-Sekretär, 1924 als Obertelegraphen-Sekretär bezeichnet. Durch seine letzte Beförderung wurde er Postinspektor.

 

Seit etwa 1927 wohnte Hermann Cahnstein im Haus Bäumerstr. 3. Er war verheiratet mit Regina geb. Kruse, die am 24. Oktober 1902 in Unna geboren worden war. Sie führte – wohl nur kurzzeitig – ein Auskunftsbüro.

 

Hermann Cahnstein wurde als Jude 1934 zwangsweise pensioniert. Ab etwa 1936 wohnte er im Haus Mönchenwordt 2. Später musste er im Tiefbau und in einer Altmaterialienhandlung arbeiten. Vom 19. bis 30. Juli 1941 war er in der Steinwache inhaftiert. Im Herbst 1944 ging er in den Untergrund und überlebte Nationalsozialismus und Weltkrieg.

 

Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Deutschlands konnte er wieder die ihm zustehende Pension beziehen. Im Mai 1948 tat er erneut Dienst und wurde zunächst zum Oberpostmann, dann zum Oberpostrat befördert. Die Beförderungen wurden als Entschädigungsleistungen für das erlittene Unrecht angesehen.

 

Nach dem Tode seiner Ehefrau Regina am 21. März 1947 heiratete Hermann Cahnstein am 31. Juli 1948 vor dem Standesamt Dortmund-Hörde ein zweites Mal. Seine neue Ehefrau war die im Jahre 1906 geborene Margarete geb. Sträter, Witwe des 1945 in Dorstfeld gestorbenen Julius Mendel. Margarete Cahnstein gehörte nicht dem jüdischen Glauben an.

 

Durch die erlebten Verfolgungen und den damit verbundenen Aufregungen und Entbehrungen hatte Cahnsteins Gesundheit sehr gelitten. Er hatte sich ein Herz- und Nervenleiden und darüber hinaus noch eine Zuckerkrankheit zugezogen. An den Folgen seiner Erkrankungen starb Hermann Cahnstein am 12. Februar 1951 im Dortmunder Johannes-Hospital. Er wurde auf dem Hauptfriedhof an der Seite seiner ersten Ehefrau bestattet. Das Grab mit Grabmal hat sich in gutem Zustand erhalten.

 

Julie Cahnstein

Julie Cahnstein wurde am 18. Januar 1891 geboren. Sie besuchte zunächst vier Jahre lang die Volksschule, dann vier Jahre die Marie-Reinders-Mittelschule und schließlich zwei Jahre die private kaufmännische Fortbildungsschule Wischmeyer und Lühr. Nach einer Prüfung durch den Personalchef der Stadtverwaltung trat sie am 1. August 1914 in die Dienste der Stadt Dortmund. Sie arbeitete für die Steuerkasse, die Kriminalpolizei und die Lungenfürsorgestelle.

 

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten verlor Julie Cahnstein ihren Arbeitsplatz in der Lungenfürsorgestelle. Vom 1. Oktober 1933 bis zum 31. Dezember 1935 erhielt sie 75 Prozent des errechneten Ruhegeldes in Höhe von 78 Mark als widerrufliche Unterstützung. Ab 1. Januar 1936 wurde keine Unterstützung mehr gezahlt, und Juli Cahnstein konnte als Jüdin auch jahrelang keinen Arbeitsplatz finden. Schließlich wurde sie bei der jüdischen Gemeinde Dortmund als Kontoristen angestellt und behielt diesen Arbeitsplatz etwa drei Jahre bis zu ihrer Deportation.

 

Im April 1942 wurde Julie Cahnstein nach Zamość deportiert, wo sie ihr Leben verlor. Das Amtsgericht Dortmund erklärte sie am 21. Februar 1947 mit Wirkung vom 8. Mai 1945 für tot.

 

Elsa Cahnstein

Wie ihre Schwester, so begann auch Elsa Cahnstein eine kaufmännische Ausbildung. Im April 1913 bestand sie vor dem Stenographischen Prüfungsamt die Prüfung für Geschäfts- und Verwaltungsstenographen in der Abteilung „150 Silben in der Minute“. Um 1913 arbeitete sie als Kontoristen, zu Beginn des Ersten Weltkrieges als Sparkassengehilfin.

 

An Weihnachten 1913 verlobte sie sich mit dem Telegraphen-Assistenten Felix Werner, der im Haus Kreuzstraße 93 wohnte. Der Termin der Eheschließung ist unbekannt. Am 27. Oktober 1931, also rund 18 Jahre nach der Verlobung, wurde in der Privat-Frauenklinik am Schwanenwall die Tochter Renate geboren.

 

Felix Werner wurde in den Adressbüchern für die Jahre 1939 und 1941 als Telegraphen-Inspektor geführt, der im Haus Bömckestraße 21 wohnte.

 

Unter unbekannten Umständen überlebte Elsa Werner geb. Cahnstein Nationalsozialismus und Weltkrieg.

 

Bernhard Cahnstein

Anschel Cahnsteins jüngerer Sohn Bernhard war verheiratet mit Hedwig geb. Goldbach, Tochter des Handelsmanns Levy Goldbach und Ester geb. Nussbaum aus Brackel. Ihr Geburtstag war der 22. Mai 1860.

 

Bernhard Cahnstein war 1890, also wenige Jahre nach seinem Bruder Michel und vor seinem Vater nach Dortmund gekommen. Den Eheleuten wurde im Juni 1890 der Sohn Max geboren. Er muss noch eine Schwester /einen Bruder gehabt haben, von der /dem aber nichts bekannt ist. Die Familie wohnte zunächst etwa ein Jahr lang im Haus Papengarten 28, dann rund vier Jahre im Haus Schwarzebrüderstraße 15 und ab 1895 im Haus Kielstraße 7. Letzteres hatte Bernhard Cahnstein Anfang 1895 für 20.500 Mark von dem Wirt Schreiber gekauft.

 

In den Adressbüchern wurde Bernhard Cahnsteins Beruf mit Anstreicher bzw. Anstreichergehilfe angegeben. 1902/03 gab er sein bisheriges Handwerk auf und betätigte sich etwa zehn Jahre lang als Fenster- und Glasreinigungs-Unternehmer.

 

Seit 1900/01 war Bernhard Gemeindediener der Synagogen-Gemeinde Dortmund. Ab der Ausgabe 1914 des Dortmunder Adressbuches wurde er ausschließlich als Kirchendiener bezeichnet. Das blieb so bis zu seinem Tode.

 

Bernhard Cahnstein starb am 14. Januar 1927 im Alter von 73 Jahren in seiner Wohnung in der Kielstraße. Sein Grab befindet sich noch heute auf dem Hauptfriedhof; das Grabmal befindet sich in einem guten Zustand.

 

Seit dem 1932 erfolgten Tod ihres Sohnes Max, lebte Hedwig Cahnstein ohne Familienangehörige im Haus Kielstraße 7. Im Dezember 1936 war sie weitestgehend mittellos. Im Juli 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert, wo sie starb. Nach Kriegsende wurde sie zum 13. März 1943 für tot erklärt.

 

Max Cahnstein

Max Cahnstein war eines von zwei Kindern der Eheleute Bernhard Cahnstein und Hedwig geb. Goldbach. Von seiner Schwester /seinem Bruder ist nur bekannt, dass sie /er ledig verstorben ist.

Zwei Jahre nach seinem Cousin Hermann wurde auch Max Cahnstein als Telegraphengehilfe beim Amt in Dortmund angenommen. Er bestand im November 1912 seine Telegraphenassistenten-Prüfung in Hagen. Zwei Jahre später war er als Einjährig-Freiwilliger Frontsoldat und bereits mit dem Eisernen Kreuz dekoriert; die Verleihung wurde im Oktober 1914 bekannt gemacht. Nach Kriegsende kehrte er in seinen Beruf zurück. 1921 war er zum Telegraphen-Sekretär und 1924 zum Obertelegraphen-Sekretär aufgestiegen.

 

Max Cahnstein blieb ledig und wohnte im elterlichen Haus Kielstraße 7.

 

Als Ober-Telegraphen-Sekretär i. R. Max Cahnstein starb im Alter von 42 Jahren nach langem, schweren, mit großer Geduld ertragenen Leiden am 12. September 1932 in den städtischen Krankenanstalten Dortmund. Sein Grab auf dem Hauptfriedhof ist mit Grabmal erhalten.

Klaus Winter

23.02.2023