Michael Rothschild

Der Lehrer Michael Rothschild aus Hovestadt (Kreis Soest) errichtete 1842 eine jüdische Privat-Elementarschule in Hörde. Die dafür notwendige Konzession wurde ihm am 19. September des Jahres von der Königlichen Regierung in Arnsberg als zuständiger Aufsichtsbehörde erteilt. In der Konzession heißt es: Der Lehrer hat „alle, das Elementarschulwesen und die Beförderung eines regelmäßigen Schulbesuches betreffenden Vorkehrungen zu befolgen und die Weisungen des Schulinspectors Wilsing, unter dessen spezielle Aufsicht wir diese Schule stellen, zu beachten. In der für den gewöhnlichen Elementar Unterricht bestimmten Stunden, deren Zahl wir auf 26 in der Woche festsetzen, darf kein Unterricht in der hebräischen Sprache ertheilt werden. Wird derselbe verlangt, so muß derselbe in besonderen Stunden gegeben werden.“ Einige Tage später, am 27. September 1845 wurde Rothschild auch die Genehmigung zum Beschneiden von jüdischen Knaben erteilt.

Ende 1848 wurde Lehrer Rothschild Opfer einer Verleumdungskampagne. In einer anonymen Anzeige in einer Dortmunder Zeitung wurde er beschuldigt, den Prinzen Wilhelm von Preußen als Kartätschenprinz und Bluthund bezeichnet zu haben. Dafür sollte er sich vor Gericht verantworten. Tatsächlich wurde Ende Juli 1849 vor dem Schwurgericht in Hamm gegen Rotschild verhandelt. Sein Verteidiger erreichte für ihn einen Freispruch, weil kein konkreter Beweis für die Majestätsbeleidigungen vorgelegt wurde, ein Teil der Zeugen vorbestraft war oder aktuell gegen sie ermittelt wurde und die anonyme Zeitungsanzeige nur ein Racheakt gewesen sein könnte, denn Rothschild war kurz vor dem Erscheinen der Anzeige bedroht worden.

Im Juni 1849 erfuhr die Königliche Regierung in Arnsberg, dass der jüdische Privatlehrer Michael Rothschild ein uneheliches Kind mit dem „Christen Mädchen“ Sophie Steffen genannt Heidenstücker, Dienstmädchen des jüdischen Metzgers Berend Berens, hatte und zu Unterhaltszahlungen verurteilt worden sein sollte. Darüber forderte die Arnsberger Regierungsbehörde nähere Auskunft bei den örtlichen Behörden. Der Hörder Bürgermeister Vahlkampf berichtete daraufhin, dass Rothschild beabsichtige, Sophie Steffen zu heiraten, sobald sie zur jüdischen Religion übergetreten sei. Das Urteil, das Rothschild zu den Unterhaltszahlungen verpflichtete, konnte Vahlkampf nicht wie gefordert vorlegen, da die Prozessakten beim Appellationsgericht in Hamm lagen, wo in zweiter Instanz über den Fall entschieden werden sollte.

Etwa drei Jahre später, im Januar 1852 verfasste der jüdische Handelsmann Leser Adler eine umfangreiche gegen Michael Rothschild gerichtete Beschwerdeschrift, die eine ganze Reihe schwerer Vorwürfe und Anschuldigungen enthielt. So soll der Lehrer die vorgeschriebene Zahl der Schulstunden nicht eingehalten haben. Er ließ die Kinder unbeaufsichtigt im Schullokal und hielt sich selber beim Schächten, in Wirtschaften oder Privathäusern sowie an Markttagen auf dem Markt auf. Auch reiste er unter Vernachlässigung seiner Schulpflichten nach „nah und fern“, um jüdische Knaben zu beschneiden. Die Tochter des Beschwerdeführers Adler soll er, statt sie unterrichten, beauftragt haben, auf sein Kind aufzupassen. Den Sohn Emanuel schickte Rothschild zur Futtersuche für die Ziege des Lehrers und verlangte von dem Jungen auch, Sachen aus seinem Elternhaus zu entwenden und ihm zu bringen. Rothschild soll Vorräte aus dem Keller und Früchte aus Adlers Garten verkauft und das Geld eingesteckt und ihm zur Aufbewahrung anvertrautes Geld unterschlagen haben. Für alle Behauptungen benannte Leser Adler Zeugen. Er schloss seine Anklage mit dem Fazit, dass Rothschild nicht würdig sei, das Amt des Schullehrers und Vorbeters der jüdischen Gemeinde von Hörde auszuüben und ihm die Konzession für seine Schule zu entziehen.

Die Arnsberger Regierungsbehörde, die Empfängerin der Beschwerdeschrift war, versuchte gleich, sich ein eigenes Bild über den Lehrer Michael Rothschild zu verschaffen. Sowohl von dem Hörder Bürgermeister Vahlkampf als auch von dem Schulinspektor Consbruch wurden Stellungnahmen eingefordert. Vahlkampf stufte die Anschuldigungen Adlers gegen Rothschild als unglaubwürdig ein und vermutete, dass ein enger Freund Adlers der eigentliche Verfasser der Beschwerdeschrift gewesen sei. Er berichtete zwar, dass der Ruf des Lehrers durch die Schwängerung einer Christin gelitten hatte, doch hatte er seine Stellung behalten. Weiterhin meinte der Bürgermeister, dass sich vor Gericht herausstellen würde, ob der Lehrer Rothschild „der gegen ihn denunziirten Thatsachen schuldig und zu bestrafen, oder im umgekehrten Falle der Denunciant Leeser Adler als Verläumder zu bestrafen sey.“ Landrat Pilgrim folgte in seinem Bericht nach Arnsberg den Schilderungen und Einschätzungen des Bürgermeisters und schloss seine Ausführungen: „So wenig ich übrigens den p. Rothschild vertheidigen mag, da er sich doch Mancherlei hat zu schulden kommen lassen, und nicht im besten Rufe steht, so scheint mir dennoch kein Grund zur Einleitung des Disziplinar Verfahrens gegen ihn vorzuliegen, wohl aber dürfte es, wie auch der Bürgermeister am Schlusse seines Berichts bemerkt, angemessen erscheinen, durch den Schul Inspector Consbruch eine sorgfältige und gründliche Visitation der Schule des p. Rothschild vornehmen zu lassen, um nach dem Resultate derselben ein weiteres Urtheil über ihn und seine Leistungen fällen zu können.“

Die Visitation der privaten jüdischen Elementarschule des Lehrers Rothschild in Hörde fiel sehr ungünstig aus. Statt der fünfzehn bis neunzehn Schüler der früheren Jahre und den acht Schülern des Vorjahres traf der Schulinspektor lediglich vier bis fünf Kinder an und schloss daraus, dass der Lehrer das Vertrauen der jüdischen Gemeinde verloren hatte. Die Leistungen der wenigen Schüler waren „außerordentlich gering“, was Consbruch auf eine „ungewöhnliche Vernachlässigung“ durch den Lehrer zurückführte. Rothschild selber zeigte wenig Methode und Gewandtheit bei seinem Unterricht und schien auf äußere Ordnung wenig zu halten.

Der Bericht des Schulinspektor Consbruch veranlasste die Königliche Regierung in Arnsberg, dem Michael Rothschild die Konzession für seine private Elementarschule zu entziehen. Bürgermeister Vahlkampf musste diese Entscheidung dem Lehrer Rothschild in Gegenwart des Vorstandes der jüdischen Gemeinde mitteilen. Zum 15. Dezember 1852 wurde die Schule geschlossen. Die letzten Schulkinder wurden – bis ein neuer jüdischer Lehrer gefunden war – an christlichen Schulen unterrichtet.

Michael Rothschild legte wenige Tage nach der Verkündigung der Schließung seiner Schule am 8. Dezember 1852 Protest ein, der aber erfolglos verlief. In der Folgezeit ist er in Hörde als Handelsmann feststellbar, 1865 war er für eine Feuerversicherungsgesellschaft tätig. Im Januar 1867 trat er als Commissionär bei einer Hausverpachtung am Hörder Marktplatz in Erscheinung.

Michael Rothschild starb am 4. Dezember 1867 im Alter von 53 Jahren an Schwindsucht.

Klaus Winter
18.07.2022