Dr. med. Hermann Selig

Hermann Selig wurde am 2. Februar 1849 in Kamen geboren. Sein Vater war der Metzger Nathan Selig, seine Mutter Chanette (Jeanette) geb. Heymann. Zu einem unbekannten Zeitpunkt verzog die Familie nach Hörde. Nachdem er die Elementarschule abgeschlossen hatte, besuchte Hermann Selig ab Ostern 1862 das Stadtgymnasium in Dortmund. Er bestand die Abiturprüfung am 11. Februar 1869 und begann ein Medizinstudium. Im Anschluss an das Studium leistete er seinen Militärdienst, vermutlich bei einer Einheit des bayerischen Heeres.

Im Jahre 1875 kehrte Hermann Selig nach Dortmund zurück und ließ sich hier als praktischer Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer nieder. Er wohnte und praktizierte zunächst einige Jahre im Haus Lindenallee 6, suchte aber ab 1882 nach einer neuen Wohnung.

Im September 1883 verlobte sich Dr. med. Selig mit Ida Wertheim aus Kassel. Die Hochzeit folgte im Mai 1884. Wahrscheinlich unternahmen die Frischgetrauten eine Hochzeitsreise, denn Anfang Juni inserierte Dr. Selig, dass er von einer Reise zurückgekehrt sei. Seit Anfang Juni 1884 bewohnten die Eheleute Selig die „herrschaftliche Wohnung“ in der ersten Etage im Haus Hoher Wall 78, nahe dem Körnerplatz (Westentor) zur Miete. Hier wurden am 20. März 1885 die Tochter Grete und im Mai 1887 der Sohn Paul geboren.

Im Mai 1890 kaufte Dr. Selig das Grundstück Luisenstraße 3, um darauf einen Neubau errichten zu lassen, in der er mit seiner Familie im April 1891 einzog. Im März 1892 wurden der Sohn Theo und schließlich am 20. Dezember 1896 die Tochter Lilli geboren. Die beiden Söhne starben jung: Theo bereits im Säuglingsalter nach kurzer Krankheit am 29. August 1892, Paul „nach langem, schwerem“ Leiden in seinem zehnten Lebensjahr am 10. März 1896. Am 15. April 1898 verlor Hermann Selig seine 37 Jahre alte Ehefrau Ida. Sie wurde wie die vor ihr verstorbenen Söhne auf dem Ostfriedhof beigesetzt.

Seit der um 1908 erfolgten Eheschließung seiner Tochter Grete, die nach der Hochzeit Dortmund verlassen hatte, wohnte nur noch die jüngste Tochter Lilli beim Vater. Sie starb jedoch in ihrem 19. Lebensjahr nach einer Gehirnentzündung am 26. Oktober 1915. Von nun an lebte Dr. Selig allein.

Der Arzt

Im Februar 1890 leistete Dr. Selig erste Hilfe, als ein elfjähriges Mädchen, das in der Nähe der Dorstfelder Brücke Straßenbahnschienen überqueren wollte, von der Pferdebahn überrollt wurde. Im November desselben Jahres reiste er „zum Studium des Kochschen Mittels“ nach Berlin.

Ab einem unbekannten Zeitpunkt war Dr. Selig einer von mehreren „Bahnärzten“ in Dortmund. Erkrankte Eisenbahner mussten sich von ihm oder einem der anderen Bahnärzte behandeln lassen.

Am Ende seines Militärdienstes stand Dr. Selig im Range eines Stabsarztes. Ende 1897 wurde er zum Oberstabsarzt erster Klasse (Majors-Rang) befördert. Etwa ein Jahr später konnte Selig dann sein 25jähriges Offiziers-Jubiläum begehen. Der Dortmunder Offiziers-Verein, dem er zu dem Zeitpunkt ebenfalls 25 Jahre lang angehörte, überreichte ihm aus diesem Anlass einen Ehrendegen. Ende 1906 wurde ihm auf seinen Antrag hin der Abschied aus dem Militär bewilligt. Es blieb ihm gestattet, weiterhin Uniform zu tragen.

Am 19. August 1907 verlieh der Regierungspräsident zu Arnsberg Dr. Hermann Selig den Titel Sanitätsrat. In der Antragsbegründung hatte es geheißen: „S. ist seit 31 Jahren in der Praxis tätig und genießt den Ruf eines tüchtigen und erfahrenen Arztes. Im ärztlichen Verein zu Dortmund, dessen Schiedsgericht er angehört, nimmt er eine angesehene Stellung ein. Er ist Oberstabsarzt I. Klasse der Landwehr I. Aufgebot mit Patent vom 15.XII.1897 und hat an keinem Feldzug mitgemacht.“

Im Sommer 1911 wurde Dr. Selig vom Magistrat zum Polizeiarzt für den nördlichen Stadtbezirk gewählt.

Hermann Selig war Mitglied im ärztlichen Verein zu Dortmund und auch im Verein der Ärzte im Regierungsbezirk Arnsberg. Im Jahre 1908 gehörte Dr. Selig als Mitglied des Dortmunder Ärztevereins gemeinsam mit zwei weiteren Ärzten der Kommission zur Erweiterung des städtischen Krankenhauses an. 1914 wurde er als Beisitzer des neu geschaffenen Schiedsamts gewählt, dass bei Streitfällen zwischen Krankenkassen und Ärzten schlichten sollte.

Der Lokalpolitiker

Bei den Reichstagswahlen im November 1893 unterstützte Dr. Selig den Kandidaten der Nationalliberalen Partei.

Im Vorfeld der Stadtverordnetenwahl 1905 bemühte sich der Liberale (Bürger-) Verein, neue Kandidaten aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen für die Wahl der zweiten der drei Wählerklassen zu gewinnen. So wurde auch die Synagogengemeinde aufgefordert, einen Kandidaten vorzuschlagen. Von verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Synagogengemeinde wurden in einer Vorauswahl sechs Kandidaten benannt, unter ihnen war auch Dr. Selig. Bei der endgültigen Auswahl des dem Liberalen Verein zu nennenden jüdischen Kandidaten fiel Dr. Selig aber durch, „da er angeblich zu wenig Fühlung mit dem Judentum“ unterhielt. Es stellte sich dann aber heraus, dass der als Kandidat dem Liberalen Verein vorgeschlagene Kaufmann Sternau nicht nationalliberal, sondern Mitglied der freisinnigen Volkspartei war und deshalb nicht vom Liberalen Verein unterstützt werden konnte. Der Liberale Verein empfahl aus diesem Grunde der Synagogengemeinde, Dr. Selig aufzustellen, der bereits seit etwa dreißig Jahre Mitglied des Liberalen Vereins war. Selig war auch bereit die Kandidatur anzutreten, „jedoch mit der Einschränkung, daß er nicht als Kandidat der Synagogengemeinde bezeichnet“ werden wollte. Diese Einschränkung wurde von der Synagogengemeinde jedoch sehr kritisch gesehen. In einem Leserbrief, der mit „Viele jüdische Wähler“ unterzeichnet war, hieß es, dass Dr. Selig „als Vertrauensmann und Vertreter der Synagogengemeinde“ nicht in Betracht käme. Es folgte eine mittels Leserbriefen geführte öffentliche Diskussion um einen jüdischen Kandidaten des Liberalen Vereins. In einer Versammlung der Liberalen am 18. November wurde die Diskussion beendet, indem Dr. Seligs Kandidatur doch gutgeheißen wurde. Der von der Synagogengemeinde favorisierte Kaufmann Sternau trat bei der Stadtverordnetenwahl auf einer alternativen liberalen Liste als Kandidat an und wurde anstelle von Dr. Selig zum Stadtverordneten gewählt.

Fünf Jahre später wurde Dr. Selig vom Liberalen Bürgerverein als Kandidat für die Stadtverordneten-Ersatzwahlen der ersten Klasse aufgestellt. Im Falle seiner Wahl sollte seine Amtsdauer bis 1913 währen. Diesmal gewann Selig die Wahl. Gemeinsam mit anderen neu gewählten Stadtverordneten wurde er in der Sitzung vom 28. November 1910 in das Amt eingeführt und verpflichtet. Im Jahre 1913 wurde er wiedergewählt.

Im Stadtverordnetenkollegium befasste sich Dr. Selig mit Fragen der Verwaltung der städtischen Kranken- und Badeanstalten, des Theaters und der Mädchengewerbeschule.

Durch seinen Tod 1918 verloren die Stadtverordneten ihren einzigen medizinischen Sachverständigen.

Mitgliedschaften

Dr. Selig war leidenschaftlicher Schwimmer. Dies geht aus einem Zeitungsartikel aus Anlass der Weihe der neuen städtischen Badeanstalt an der Knappenberger Straße (Südbad) im Jahre 1905 hervor. Es wurden unter anderem Abonnenten eingeladen, die wie Dr. Selig 25 Jahre oder länger die Badeanstalt genutzt hatten.

Im Jahre 1889 gehörte Dr. Selig dem Komitee zur Gründung eines Kaiser Wilhelm-Hains, der Keimzelle des Westfalenparks in Dortmund an. Als 1904 der Dortmunder Theaterverein ins Leben gerufen wurde, wurde er in den Ausschuss berufen, der die einzelnen Ämter in seinen Reihen zu verteilen und die Geschäfte des Vorstandes zu erledigen hatte. Der Name des Sanitätsrats findet sich auf der Mitgliederliste 1912 der Gesellschaft Casino zu Dortmund, deren Ehrenmitglied er später wurde.

Dr. Hermann Selig war Vorstandsmitglied im Verein für jüdische Krankenpflege in Westfalen mit Sitz in Dortmund. 1910 bekleidete er das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden. Beim Tode des Vereinsvorsitzenden Sally Flörsheim im Februar 1911 unterzeichnete er den Nachruf des Vereins. Bei den nächsten Wahlen wurde Selig der neue Vereinsvorsitzende.

Der Tod

Der Geheime Sanitätsrat Dr. med. Hermann Selig starb am 13. Juli 1918 in seinem Haus in der Luisenstraße. Die Todesanzeige der Familie nannte als Hinterbliebene an erster Stelle die Tochter Grete. Grete Selig hatte sich im August 1907 mit dem Diplom-Ingenieur Paul Cords, der als Betriebs-Ingenieur eines Walzwerks arbeitetet, verlobt und später geheiratet. 1918 war Paul Cords Oberingenieur und wohnte mit seiner Familie in Hamm (Westfalen). Er war es, der dem Standesamt den Tod seines Schwiegervaters meldete.

Wenige Tage nach dem Tod des Eigentümers wurde das Haus Luisenstraße 3 zum Verkauf angeboten.