Der Verein für jüdische Krankenpflege in Westfalen

Das Kuratorium für jüdische Krankenpflege

Im Jahre 1903 bildete sich in Dortmund eine Organisation, die sich der Krankenpflege widmen wollte. Die Gründung des „Kuratoriums für jüdische Krankenpflege“ ging zurück auf die Initiative des Kaufmanns Sally Flörsheim, der ihm auch mehrere Jahre vorstand. Dem ersten Vorstand des Kuratoriums gehörten außer Flörsheim an:

                Frau Julie Alsbach,

                Frau Salomon Elkan,

                Frau Siegfried Stern,

                Sanitätsrat Dr. med. Blankenstein,

                Dr. med. Fr. Fischbein,

                Herr Hugo Heymann,

                Herr L[ouis] Sternau und

                Herr J[ulius] Udewald in Hörde.

Bis 1909 sollte die Zahl der Vorstandsmitglieder auf 16 ansteigen. Die auswärtigen Mitglieder dieses Gremiums wohnten in Hörde, Bochum und Witten.

 

Die jüdischen Krankenschwestern, die das Kuratorium zur Erreichung seines Zweckes einsetzen wollte, sollten Kranke ohne Rücksicht auf deren Religionsangehörigkeit oder Stand pflegen und zwar nicht nur in Dortmund, sondern in der gesamten Provinz Westfalen. Neben der Krankenpflege sah es das Kuratorium als seine Aufgabe an, junge Frauen zu Krankenschwestern ausbilden zu lassen.

 

Bereits im Gründungsjahr nahm die erste Krankenschwester ihren Dienst auf. Über ihre Person ist nichts mehr bekannt, doch kann vermutet werden, dass sie in der 1895 in Berlin gegründeten Krankenpflegeschule des „Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen“ ausgebildet worden war. Die Pflegedienstleistungen, die sie übernehmen sollte, konnten beim Kuratoriums-Vorsitzenden S. Flörsheim beantragt werden. Für Unbemittelte waren die Leistungen kostenfrei, von anderen wurde die Zahlung einer „mäßigen Taxe“ gewünscht.

 

Der im Oktober 1905 vorgelegte Jahresbericht des Kuratoriums informierte zunächst über einen erfreulichen Anstieg der Mitgliederzahl und damit der Beitragseinnahmen. Das war besonders deshalb wichtig, weil das Kuratorium beschlossen hatte, ab dem 1. Oktober 1904 auf das Erheben von Pflegegebühren vollständig zu verzichten; die Pflegedienste also fortan für alle Kranken kostenlos waren.

 

Für die Pflege standen nun zwei Schwestern zur Verfügung. Die zweite Schwester, die ebenfalls in Berlin ausgebildet worden war, hatte am 1. April 1904 ihre Tätigkeit in Dortmund aufgenommen. Mit ihr konnte die Zahl der Pflegen gesteigert werden. Im Geschäftsjahr 1903/04 waren 15 Pflegen geleistet worden, im Geschäftsjahr 1904/05 waren es dagegen schon 36. Aber auch das stellte nur einen Bruchteil des an uns herantretenden Begehrs dar, hieß es im Geschäftsbericht. Eine dritte Krankenschwester wurde deshalb für dringend erforderlich erachtet, und man war sich im Kuratorium dennoch sicher, dass durch sie die Bedarfslücke nicht geschlossen würde: Durchschnittlich veranschlagt, hätten wir gut 4-5 Schwestern das Jahr hindurch beschäftigen können.

 

Gegen eine weitere Erhöhung der Zahl der Schwestern sprach vor allem die finanzielle Lage des Kuratoriums, das das Geschäftsjahr 1903/04 mit einem Defizit in Höhe von 930,44 Mark abgeschlossen hatte. Die Märkische Loge hatte es übernommen, den Fehlbetrag auszugleichen. Im Geschäftsjahr 1904/05 war dann ein Überschuss von 1.467,15 Mark erzielt worden. Bei zwei Krankenschwestern reichte der zur Verfügung stehende Etat aber gerade einmal für einen Zeitraum von vier Monaten aus, denn für den Unterhalt jeder Schwester mussten 2.300 Mark jährlich aufgewendet werden. Dabei wohnten die Schwestern aktuell bei Familien, eine Unterbringungsform, die zwar kostengünstig, aber wegen der Eigenarten des Pflegedienstes auf Dauer sicherlich nicht aufrecht zu erhalten war. Die Beschaffung eines Schwesternheims, eventuell zunächst nur in Form einer eigenen Wohnung für die Krankenschwestern, war also ein wichtiges, aber auch teures Ziel, eine ernste Sorge. Der Jahresbericht 1905 des Kuratoriums für jüdische Krankenpflege endete folglich mit dem Appell, sich noch stärker als bisher für das gemeinsame Ziel einzusetzen und immer neue Mitglieder und Freunde zu werben.

 

Eine finanzielle Unterstützung erhielt das Kuratorium im Sommer 1906. Die städtische Sparkasse Dortmund stellte aus den für allgemeine und gemeinnützige Zwecke zu verwendenden Sparkassen-Zinsüberschüssen dem Kuratorium 300 Mark zur Verfügung.

 

Im November 1907 wurde der vierte Jahresbericht des Kuratoriums für jüdische Krankenpflege vorgelegt. Nach Erläuterung der personellen Veränderungen in der Führung des Kuratoriums wurde bedauert, dass die Mitglieder aus Essen aus dem Kuratorium ausgeschieden waren. Das hätte zu einem spürbaren Rückgang der Beitragseinnahmen geführt, wenn nicht so viele Mitglieder neu eingetreten wären, die mit ihren Beiträgen den Rückgang ausgeglichen hätten.

 

Seit dem 1. Juli 1907 verstärkte eine dritte Schwester das Team des Kuratoriums. Sie entlastete die beiden bisherigen Krankenschwestern, ermöglichte aber trotzdem die Annahme zusätzlicher Pflegeaufträge. Die Pflegeleistungen waren nun seit drei Jahren kostenfrei und tatsächlich wurden auch zwei Drittel völlig unentgeltlich geleistet. Nicht alle Pflegen wurde in Dortmund erbracht, vielmehr reisten die Krankenschwestern auch in benachbarte Städte: Ahlen, Gelsenkirchen, Hamm, Wattenscheid und in andere Orten in der Provinz. In Dortmund wurden 51 Pflegen geleistet und zwar mit 529 Pflegetagen, 311 Pflegenächten und 60 Nachtwachen; die Zahl der auswärtigen Pflegen belief sich auf 24. Wir hoffen mit zahlreichen Freunden, diese humane Einrichtung nie ändern zu müssen, aber wie würde sie sich erst belohnt sehen, wenn sie allgemeinere Würdigung fände, und wie würde uns die Vermehrung unserer Arbeitskräfte erleichtert werden, wieviel Gutes könnte erst geschehen, wenn nur ein kleiner Teil derer, die aus Gewöhnung, aus freudigen oder traurigen Anlässen Almosen geben, diese Gaben, Zuwendungen und Stiftungen uns anvertrauten, damit sie dem noch ärmeren Armen, dem kranken Armen, der nicht einmal an fremde Türen klopfen kann, zustatten kämen!

 

Zwei Organisationen für die Krankenpflege

Der mit den Hintergründen nicht vertraute Dortmunder Zeitungsleser dürfte sich im Sommer 1909 gewundert haben, dass in seiner Stadt nun zwei jüdische Organisationen aktiv waren, die sich der Krankenpflege verschrieben hatten.

 

Am 1. Juli 1909 wies das Kuratorium für jüdische Krankenpflege durch Zeitungsinserate nicht allein auf sein sechsjähriges Bestehen, sondern auch auf sein erheblich verstärktes Schwesternpersonal hin, welches weiterhin unentgeltlich Pflegen, Nachtwachen und vorübergehende Hilfeleistungen ohne Unterschied des Standes und des religiösen Bekenntnisses leistete. Vorsitzender des Kuratoriums war nun der Kaufmann Salomon Elkan, der auch die Pflegebestellungen entgegennahm.

 

Gleichzeitig inserierte ein „Verein für jüdische Krankenpflege in Westfalen“, dass er mit den seit teilweise 6 Jahren unter der Leitung des unterzeichneten Vorsitzenden hier wirkenden Schwestern aus dem Mutterhause des Vereins für jüdische Krankenpflege in Berlin den Dienst in ganz unveränderter Weise fortsetzen werde. Unterzeichner war der ehemalige Vorsitzende des Kuratoriums für jüdische Krankenpflege S. Flörsheim, der nun dem neuen Verein vorstand.

 

Der Verein für jüdische Krankenpflege in Westfalen veröffentlichte zum Ende des Jahres 1909 einen Tätigkeitsbericht, in dem er auf das erste Halbjahr seines Bestehens zurückblickte. Er enthielt aber keine Erklärung zu den Hintergründen seiner Entstehung. Eine solche lieferte erst der im Sommer 1910 vorgelegte Jahresbericht: Sally Flörsheim hatte Damen und Herren aus allen Teilen der Provinz Westfalen zum 3. Juni 1909 in das Dortmunder Hotel Lindenhof eingeladen, um über jüdische Krankenpflege zu beraten. Er berichtete, dass er von der Leitung des Kuratoriums für jüdische Krankenpflege zurückgetreten sei. Dem Schritt hatten Unstimmigkeiten über den Umfang des Pflegedienstes zu Grunde gelegen. Innerhalb des Kuratoriums gab es Bestrebungen, die Pflege regional einzuschränken und nur noch für Glaubensgenossen anzubieten. Beides sah Flörsheim als negative, nicht hinnehmbare Einschnitte an und legte sein Amt als Vorsitzender des Kuratoriums nieder. In Folge des Rücktritts Flörsheims vom Vorsitz des Kuratoriums hatten die Krankenschwestern des Kuratoriums ihre Arbeitsverträge gekündigt und wollten abreisen; auch Flörsheim hatte sie von diesem Entschluss nicht abbringen können. Nun rief der Kaufmann zur Gründung eines neuen Vereins auf, der die Ziele des Kuratoriums in seiner ursprünglichen Form weiterverfolgen sollte. Er selber war bereit, sich in dem neuen Verein zu engagieren. Auch die Krankenschwestern hätten nach Rücksprache mit ihrem Mutterhaus in Berlin erklärt, für den neuen Verein arbeiten zu wollen und in Dortmund zu bleiben. Tatsächlich wurde der Verein für jüdische Krankenpflege in Westfalen noch an dem Abend gegründet. Flörsheim wurde bevollmächtigt, die notwendigen Verträge mit den Schwestern abzuschließen, ein Vorstand wurde gewählt sowie ein Ausschuss, der die Satzung ausarbeiten sollte.

 

Tätigkeitsbeginn des Vereins für jüdische Krankenpflege in Westfalen

In dem ersten Vorstand des Vereins für jüdische Krankenpflege in Westfalen, der aus dreizehn Personen bestand, waren acht, die im Jahr zuvor noch dem Vorstand des Kuratoriums für jüdische Krankenpflege angehört hatten. Vier Personen des alten Kuratoriums-Vorstandes waren weder im neuen Kuratoriums-Vorstand noch im Vorstand des Vereins für jüdische Krankenpflege. Es lässt sich also feststellen, dass der neue Verein in der Tradition und mit Kräften des alten Kuratoriums seine Tätigkeit aufnahm, während das Kuratorium einen komplett neuen Vorstand bilden musste.

 

Der Verein beschäftigte zunächst zwei Krankenschwestern. Eine dritte war wegen ihrer Eheschließung aus dem Dienst geschieden, und ein Ersatz für sie kam erst am 2. Januar 1910 in Dortmund an. Die Zahl der Pflegetage im Berichtsjahr belief sich auf 780, die der Pflegenächte auf 294 und die der Nachtwachen auf 143. Zehn Pflegedienste waren nach entsprechender Anfrage im Städtischen Krankenhaus und im Dudenstift geleistet worden. Den Einnahmen in Höhe von 7.165,85 Mark standen Ausgaben von 6.308,38 Mark gegenüber, so dass das erste Geschäftsjahr auch finanziell positiv endete.

 

Bei den Einnahmen war eine Zuwendung aus den Zinsüberschüssen der Sparkasse berücksichtigt. Die Stadtverordneten-Versammlung hatte in ihrer Sitzung im Februar 1910 den Antrag, dem Verein für jüdische Krankenpflege in Westfalen einen Zuschuss aus den Zinsüberschüssen zu gewähren, zunächst abgelehnt: Der Verein für jüdische Krankenpflege in Westfalen ist eine ganz neue Schöpfung, von der erst abzuwarten bleibt, wie sie sich bewährt. Es kam in der Stadtverordneten-Versammlung aber zu weiteren Beratung über das Thema. In dem Zusammenhang betonte Sanitätsrat Dr. Brand die vorzüglichen Leistungen der jüdischen Schwestern. Auch der Stadtverordnete Suhrmann unterstützte die Bewilligung einer finanziellen Unterstützung: Die Schwestern dieses Vereins seien nach eingehend angestellten Ermittelungen seit 6-7 Jahren hier tätig und hätten sich vorzüglich bewährt. Wenn auch der Verein seinen Namen gewechselt hätte, so seien doch die Schwestern, und vor allen Dingen der 1. Vorsitzende, dieselben geblieben. Wenn man außerdem noch dem Kuratorium, deren Schwestern hier noch unbekannt wären, auch eine Zuwendung machen wolle, so wäre er auch dafür.“ Tatsächlich gewährten die Stadtverordneten sowohl dem neuen Verein, als auch dem Kuratorium je 250 Mark an Unterstützung.

 

Das Ende des Kuratoriums für jüdische Krankenpflege

Das Kuratorium für jüdische Krankenpflege informierte die Öffentlichkeit im Februar 1910, dass zwei Schwestern des Mutterhauses in Breslau anstelle der bisher tätigen Schwestern ihren Dienst aufgenommen hatten. Bei den neuen Schwestern handelte es sich also nicht um solche, die in der Berliner Krankenpflegeschule des „Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen“ ausgebildet worden waren, sondern um Logenschwestern; sie gehörten der Krankenschwesternorganisation des Unabhängigen Ordens Bnei Briss (U.O.B.B.) an. Im Juni des Jahres informierte der Kaufmann Isidor Goldschmidt die Verwaltung des Luisenhospitals, dass er der neue Vorsitzende des Kuratoriums sei und die Dienste der Krankenschwestern bei Frau Fanny Sondheim bestellt werden konnten. Aus den Sparkassenzinsüberschüssen wurden dem Kuratorium ebenso wie dem Verein im August 1910 250 Mark überwiesen. Im Juli 1911 organisierte das Kuratorium eine Vortragsveranstaltung: Professor Dr. Henle, Oberarzt des Luisenhospitals sprach über seine Tätigkeit in Japan während des russisch-japanischen Krieges. An der Veranstaltung in der Aula der Handwerker- und Kunstgewerbeschule konnten auch Nicht-Vereinsmitglieder teilnehmen.

 

Im Adressbuch der Stadt Dortmund für das Jahr 1914 wird das Kuratorium für jüdische Krankenpflege letztmalig genannt. An der Spitze des 20-köpfigen Vorstandes stand der Kaufmann Robert Wolff, Teilhaber der Firmen Gebrüder Wolff und Wolff & Sondheim. Er war in diesem Amt Nachfolger von Isidor Goldschmidt, der das Kuratorium drei Jahre lang geleitet hatte. Ab dem Adressbuchjahrgang 1915 wurde nur noch der Verein für jüdische Krankenpflege genannt.

 

Zur Auflösung des Kuratoriums für jüdische Krankenpflege konnten keine Hinweise gefunden werden. Möglicherweise führten die Verhältnisse im Verlauf des Ersten Weltkrieges zu der Erkenntnis, dass ein starker Verein besser sei als zwei parallel arbeitende, so dass es zu einem Zusammenschluss der beiden Organisationen kam.

 

Die Entwicklung des Vereins für jüdische Krankenpflege in Westfalen

Im November 1910 fand eine General-Versammlung des Vereins für jüdische Krankenpflege im Hotel Lindenhof in Dortmund statt. Drei Krankenschwestern waren nun für den Verein im Einsatz. Eine vierte sollte zum Jahresende ihren Ergänzungskurs im Berliner Mutterhaus abschließen und Anfang 1911 dann ihren Dienst in Dortmund antreten. In den 16 Monaten, in denen der Verein inzwischen bestand, waren an insgesamt 1.144 Tagen und 477 Nächten sowie durch 215 Nachtwachen 107 Kranke gepflegt worden und zwar in Dortmund und in 25 weiteren Orten in der Provinz Westfalen. Finanziell konnte im Berichtszeitraum ein Überschuss von 857,47 Mark erzielt werden. Nach der Neuwahl von Vorstandsmitgliedern dankte der erste stellvertretende Vorsitzende, Sanitätsrat Dr. med. Selig, dem Vorsitzenden S. Flörsheim im Namen aller Vorstandskollegen für dessen aufopfernde Tätigkeit im Dienste der Vereinssache, worauf Flörsheim entgegnete, dass ihm manches nicht möglich geworden wäre, hätte er nicht von allen Seiten tatkräftige Hilfe und Unterstützung erfahren.

 

Im Februar 1911 machte der Verein bekannt, dass er seine Tätigkeit auf das Gebiet der Nervenheilpflege ausgedehnt hatte. Für diesen Pflegebereich stand eine eigens dazu ausgebildete Krankenschwester zur Verfügung.

 

Am 15. Februar 1911 starb Sally Flörsheim. Sanitätsrat Dr. med. Selig für den Gesamtvorstand des Vereins für jüdische Krankenpflege in Westfalen und die Krankenschwestern des Vereins ließen ehrende Nachrufe veröffentlichen. Zum Monatsende wurde eine außerordentliche Vorstandssitzung einberufen, in deren Verlauf Dr. med. Selig zum neuen Vorsitzenden und Frau S. Flörsheim zur neuen ersten stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins gewählt wurden. Dem Schriftführer N. Baum wurde das Amt des Schatzmeisters übertragen.

 

Der im August 1911 vorgelegte Geschäftsbericht berichtete, dass aufgrund der Zunahme des Arbeitsaufwandes eine Neuorganisation der Aufgabenverteilung innerhalb des Vorstandes vorgenommen werden musste. Herrn Baum war das Rechnungswesen übertragen worden, Frau Flörsheim unterstützte den Vorsitzenden in der Leitung des Pflegedienstes. Im Berichtszeitraum waren 96 Pflegen sowie Krankenbesuche und Hilfeleistungen übernommen worden. Die Schwestern hatten 868 Pflegetage, 408 Pflegenächte, 229 Nachtwachen und 60 Ambulanzen übernommen. Finanziell schloss das Jahr mit einem Überschuss von 727,94 Mark ab. In Bezug auf die Schaffung eines Schwesternheims war der erste Schritt getan. Der zu diesem Zweck eingerichtete Fonds bestand zum Berichtszeitpunkt lediglich aus 250 Mark.

 

Aus den Sparkassenzinsüberschüssen 1910 erhielt der Verein für jüdische Krankenpflege in Westfalen Ende 1911 eine Beihilfe in Höhe von 500 Mark.

 

Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges stellte der Verein seine vier Krankenschwestern für den Kriegssanitätsdienst zur Verfügung. Sie wurden sofort beim Sanitätsdienst am Hauptbahnhofe eingesetzt, wo sie ihre Abberufung zum Kriegsdienst stündlich erwarteten. Über die Einsätze der Schwestern während des Krieges war nichts zu ermitteln.

 

Am 12. Oktober 1915 starb das Vorstandsmitglied Leeser Cohen, der zu der Zeit das Amt des Schatzmeisters innehatte.

 

Im Juni 1918 wurde dem Verein der Betrag von 1.000 Mark aus den Sparkassenzinsüberschüssen zugewiesen.

 

Am 20. August 1919 verlor der Verein sein Mitglied Isidor Goldschmidt durch den Tod. Goldschmidt war nach den Einträgen in den Adressbüchern von 1911 bis 1913 Vorsitzender des Kuratoriums für jüdische Krankenpflege gewesen. Nach der Auflösung des Kuratoriums wechselte er in den Verein für jüdische Krankenpflege in Westfalen, in dem er ab 1915 ebenfalls dem Vorstand angehörte.

Nach dem Ersten Weltkrieg sind der Presse nur noch wenige Hinweise auf den Verein für jüdische Krankenpflege in Westfalen zu entnehmen. Die Mitgliederversammlung im Juni 1921 wurde im Synagogen-Sitzungssaal abgehalten. Im Sommer 1924 wurden zwei Krankenschwestern per Zeitungsinserat gesucht. Der Verein bot seinen Schwestern um das Doppelte erhöhte Gehälter und außerdem Altersversorgung, freie Wohnung und Kleidung sowie einen vierwöchigen Sommerurlaub. Zusätzlich wurde in dem Stellenangebot darauf hingewiesen, dass junge Mädchen aus guter Familie kostenlos zur Krankenschwester ausgebildet und nach dem Abschluss der Ausbildung fest angestellt würden.

 

Vereinzelt können für den Verein tätige Krankenschwestern noch bis weit in die 1930er Jahre festgestellt werden. Ob und unter welchen Umständen sie noch arbeiteten, das ist völlig unklar. Auf eine Tätigkeit des Vereins deutet gar nichts mehr hin.

 

Nach dem Vereinsregister beim Amtsgericht Dortmund wurde der Verein für jüdische Krankenpflege in Westfalen niemals aufgelöst, da ein entsprechender Eintrag fehlt.

 

Die Krankenschwestern des Vereins

Die erste namentliche Erwähnung der Schwestern, die für den Verein für jüdische Krankenpflege in Westfalen tätig waren, findet sich in dem Adressbuch für das Jahr 1914. Es handelt sich um die Vornamen Lisa, Herma und Gerda. Da die Familiennamen unbekannt sind, ist eine weiterführende Recherche nach ihnen nicht möglich.

 

Ab der Ausgabe für das Jahr 1915 gibt es am Eintrag des Vereins im Behördenteil des Adressbuches den Hinweis auf ein Schwesternheim im Haus Hohe Straße 15. Da in dem Haus mehrere Parteien lebten, stand hier wohl nur eine Wohnung zur Verfügung. Hier lebten im ersten Jahr die Oberschwester Erika Dreyfuß und die Krankenschwester Fania Neusträter. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges stieg die Zahl der Schwestern zunächst auf sechs (1919/20), dann sogar auf sieben (1921). Dass 1924 wieder nur zwei Schwestern das Heim nutzten, dürfte seinen Grund in der Ruhrbesetzung haben. Die Zahl stieg anschließend wieder auf sechs an.

 

Die Wohnung der Schwestern im Haus Hohe Straße 15 wurde 1927 aufgegeben. Oberschwester Dreyfuß zog um in das Haus Hamburger Straße 52. Hinweise auf die übrigen Schwestern finden sich nicht. Zu Beginn der 1930er Jahre zog Erika Dreyfuß erneut um und zwar in das Haus Märkische Straße 11, in das auch die Krankenschwester Erna Baumgarten einzog. Nach dem Adressbuch für das Jahr 1935 war die Anschrift der Schwester Dreifuß Weißenburger Straße 9. Das galt auch noch für die folgenden Jahre. 1939 verliert sich ihre Spur.

 

Die einzige Krankenschwester, die über einen längeren Zeitraum in den Diensten des Vereins für jüdische Krankenpflege in Westfalen stand, war Erika Dreyfuß. Sie wurde am 20. November 1877 in Orschweiler (Baden) geboren. Im Adressbuch der Stadt Dortmund für das Jahr 1915 wurde sie erstmals und in dem für das Jahr 1939 zuletzt genannt. Zu Anfang des Jahres 1928 hatte die Oberschwester, die der Krankenschwestern-Organisation der Großloge U. O. B. B. angehörte, ihr 25jähriges Schwesternjubiläum begehen können. Sie, deren segensreiches Wirken allseitige Anerkennung findet, war an ihrem Jubiläumstage Gegenstand großer Ehrungen. Die Dortmunder Tagespresse nahm von dem Ereignis allerdings keine Notiz. Das Berufsjubiläum wurde lediglich in einer überregional erscheinenden jüdischen Zeitung erwähnt.

 

Karoline Erika Dreifuß wurde am 29. Juli 1942 von Dortmund in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort fand sie am 23. April 1944 den Tod.

Klaus Winter

14.02.2023